-Kommentar-

Der versuchte Militärputsch in der Türkei dürfte als einer der merkwürdigsten in die Geschichte eingehen. Niemand wollte den Präsidenten festsetzen, alle Medien unter Kontrolle bringen oder auch nur etwas Logistik aufbauen. Zwei angebliche Putschisten-F16 fliegen brav hinter Erdogans Maschine her und schießen sie nicht ab. Ein Witz. Über 260 Tote sind die Bilanz. Über die Hintergründe und Strippenzieher wird die Geschichte entscheiden. Haken wir den Putsch einmal ab.

Schnell waren jedenfalls die Schuldzuweisungen parat. Verdächtig schnell. Interessant ist, dass direkt nach dem Putsch mal eben 2.700 Richter gefeuert oder verhaftet wurden – vermeintliche Anhänger von Gülen. Das riecht verdächtig danach, die Listen wären vorbereitet und warteten nur auf eine gute Gelegenheit. Auch so kann man eine Justiz „gleichschalten“…….. Die staatliche Gewaltenteilung wird zum schlechten Witz.

Schauen wir uns einmal an, was Erdogan sonst so die ganze Zeit gemacht hat. Er hat den IS unterstützt und dessen Bekämpfung sehr lange verhindert. Am Ölgeschäft mit dem IS hat sein Clan mitverdient. Beides vergrößerte das Elend für die Opfer des IS, wie Kurden und Jesiden. Er will in Syrien Assad absetzen und seinen Einfluss in der Region ausbauen – offenbar egal, wie. Er hat islamistische Moscheen gepusht, in deren Dunstfeld dubiose Kräfte unterwegs sind. Über den DITIB bastelt er in den türkischen Gemeinschaften in Deutschland herum. Er benutzte Flüchtlinge als Druckmittel und für Erpressung. Er ließ in einem sehr rigide regierten Land Schleuserbanden und Korruption zu. All das steht hundertprozentig gegen die Interessen und Werte von EU und NATO, natürlich auch gegen deutsche Interessen.

Um so lauter sind seine Forderungen, etwa nach EU-Vorteilen und Geld. Mitgliedschaft in der EU, Visafreiheit für Türken und eine erhebliche Reihe von Zugeständnissen werden lauthals proklamiert.

Man darf an dieser Stelle einmal die, vorsichtig ausgedrückt, unfreundliche Behandlung der Bundeswehr in der Türkei erwähnen. Schon bevor der Bundestag den Völkermord des osmanischen Reiches an den Armeniern als Völkermord bezeichnete, knirschte es gewaltig. Etwa beim Rücktransport von Material aus Afghanistan über türkische Häfen wurden Bundeswehrsoldaten systematisch schikaniert. Wohlgemerkt von vermeintlichen Bündnispartnern. Dass nach dem Bundestagsbeschluss die Stimmung in Incirlik und bei den Patriot-Einheiten gegenüber der deutschen _Hilfe_ gegen den IS angespannt ist, ist eine Binsenweisheit. Selbst, wenn die Arbeit zwischen den Soldaten offenbar funktioniert.

Für den unzweifelhaften Wirtschaftsaufschwung der Türkei stehen hart arbeitende Menschen. Und, auch nicht vergessen, Erdogan hat diverse Sahnestückchen der öffentlichen Hand verkauft, was sich positiv auf den Haushalt auswirkte. Aktuell sieht es düsterer aus. Alleine aus Deutschland sind im Tourismus rund 3 Millionen Urlaubsbuchungen ausgeblieben. Dazu kam, nach dem Krach mit Russland, ein weiterer Ausfall von ca. 7 Mio Buchungen. Jetzt gibt er natürlich allen anderen die Schuld und verkündet munter Verschwörungstheorien.

Nun, innerlich ist die Türkei heute tief gespalten. AKP-Anhänger, Islamisten und liberale Kräfte sind heftig zerstritten. Der PKK-Terror ist nach langer Pause aufgeflammt, auch die Unterdrückung der Kurden. Natürlich ist der PKK-Terror entschieden abzulehnen. Man erinnere sich aber an Kobane, als Erdogan sehr lange Hilfe für die durch den IS bedrängte Stadt verhinderte. Mit mehr als dubiosen Schachzügen schafft er die Pressefreiheit faktisch ab, möchte das Internet kontrollieren, legt die politischen Stimmen der Kurden lahm. Wozu Erdogans Mob fähig ist, zeigen die Bilder zusammengeschlagener und gelynchter politischer Gegner. Todesstrafe? Kann kommen. Und genau diese Probleme schwappen auch nach Deutschland und Europa über – dank AKP-Anhängern, dem DITIB und natürlich den gestiegenen Spannungen zwischen nationalistisch/islamistisch eingestellten Türken und liberalen Türken sowie Kurden. Und nicht zuletzt den Flüchtlingen, die dank seines „Engagements“ teilweise überhaupt erst entstehen. Wer die Türkei in der EU haben möchte, wird massiv genau diese Probleme mit importieren. Und genau das ist schon offensichtlich geworden. In Gelsenkirchen beispielsweise, wohlgemerkt in Deutschland, gingen AKP-Aktivisten während des Putsches gewaltsam auf vermeintliche Erdogan-Gegner los. Diese Radikalen folgen offenbar brav dem Aufruf des „Führers“…… In Rotterdam bspw. bekam es ein niederländisches Fernsehteam auf die Nase, das nur über die Demonstration gegen den Putsch berichten wollte. In Österreich gingen Erdogans Schergen auf Konfliktkurs mit Kurden.

Dann reden wir noch nicht einmal bspw. über die, im Falle eines EU-Beitritts, anstehenden massiven Zahlungen etwa für die türkische Landwirtschaft. Das käme ergänzend hinzu. Oder die strikte Ablehnung der Türkei durch osteuropäische und nordische, teilweise auch südeuropäische EU-Mitglieder. Als wenn die EU nicht schon genügend Probleme hätte. Falls die Bundeskanzlerin wieder vorprescht, droht mindestens so viel Dissenz wie bei der extrem einseitigen Flüchtlingspolitik. Wer hier konziliant mit Erdogan umgeht, wird vermeintlich erst einmal ein paar Probleme entschärfen. Die Erfahrung aus der Geschichte lehrt aber, dass man sich langfristig viel größere Schwierigkeiten schafft.

Man kann durchaus den Eindruck bekommen, dass Erdogan die Demokratie nur so lange respektiert, wie sie ihm persönlich, seiner AKP und der angedachten Islamisierung nutzt. Auch sind ihm die Konsequenzen persönlichen Machtstrebens nach innen und außen offenbar ziemlich egal. Wertemäßig ist die Türkei längst nicht mehr kompatibel zu Europa. Man riecht teilweise den Gestank der Diktatur.

Ich glaube, man kann beide Fragen – ob die Türkei unter Erdogan noch ein zuverlässiger Bündnispartner oder zum Vorteil für die EU ist – mit 100% Nein beantworten. Ob Erdogans Türkei nicht eher ein Gegner ist, bleibt (noch) offen.

Georg Grohs

Kategorien: Aktuelles

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter